Am 31. März und 1. April organisierte die Europäische Kommission im Rahmen der polnischen EU-Ratspräsidentschaft die Global Multistakeholder High Level Conference on Governance of Web 4.0 and Virtual Worlds. Während der zwei Tage diskutierten mehr als 100 Teilnehmende vor Ort und viele weitere online eine breite Palette von Themen im Zusammenhang mit neuen Technologien. Der Konferenz gingen zwei Online-Konsultationen voraus, die von der Europäischen Kommission in den Jahren 2023 und 2024 durchgeführt wurden und zu denen unser Projekt Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt aus der Perspektive der Kinderrechte beigetragen hat.
Die Veranstaltung begann mit einer hochrangigen Podiumsdiskussion zum Thema „Internet Governance Today and Tomorrow - Preparing for the Challenges and Opportunities of the Future Internet“ (Internetverwaltung heute und morgen - Vorbereitung auf die Herausforderungen und Chancen des Internet der Zukunft). Olga Cavalli von der National Defense Faculty, University of the National Defence Argentina / SSIF Soth School on Internet Governance wies darauf hin, dass der Multistakeholder-Ansatz nicht bedeute, dass alle Interessengruppen gleich seien. Das Schöne am Multistakeholder-Ansatz sei, dass sie vielfältig seien und vom Austausch ihrer unterschiedlichen Perspektiven profitierten. Seizo Onoe, Direktor des ITU-Büros für Telekommunikationsnormung, warf die Frage auf, wie der Multistakeholder-Ansatz auf die sehr schnelle technologische Innovation reagieren könne. Er erklärte, dass Standardisierung die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessengruppen sei. Kurtis Lindqvist, Präsident und CEO der ICANN, verwies auf die phänomenale Stabilität und Sicherheit des Internets in den letzten 20 Jahren seit dem WSIS in Tunis 2005. Die Standardisierung sei durch Multi-Stakeholder-Arbeit vorangetrieben worden. Nun sei es an uns, die virtuellen Welten ebenso für alle zugänglich zu machen und Interoperabilität zu gewährleisten. Ghenga Sesan, Executive Director der Paradigm Initiative und Mitglied des IGF Leadership Panel, erinnerte daran, dass Kontrolle nicht der beste Ansatz für Innovation sei. Er betonte, dass Regulierung aus seiner Sicht nicht Kontrolle, sondern Verständnis und Unterstützung bedeute. In Bezug auf das Internet Governance Forum betonte er, dass das IGF nicht nur eine Diskussionsplattform, sondern auch eine Aktionsplattform sei und unterstrich damit seine Rolle bei der Gestaltung zukünftiger virtueller Welten.
Auf der Grundlage eines ausführlichen Hintergrunddokuments fanden mehrere Breakout-Sitzungen statt, die durch das Fachwissen und die Beiträge der im Saal anwesenden Akteure und Akteurinnen und der Online-Teilnehmer bereichert wurden. In diesen Sitzungen wurden die Kinderrechte von verschiedenen Beteiligte angesprochen. Neben der oben erwähnten Erklärung der Stiftung Digitale Chancen wurde betont, dass die Bedürfnisse von Kindern bei der Entwicklung von Diensten und Applikationen in und für virtuelle Welten von Anfang an berücksichtigt werden sollten. Kinder und Jugendliche sollten nicht nur als besonders schutzbedürftige Gruppe betrachtet, sondern auch als Träger*innen von Rechten in virtuellen Umgebungen respektiert werden, wie es die Allgemeine Bemerkung Nr. 25 fordert und damit das Recht auf Zugang zu den Medien (Artikel 17 KRK) anhand aller Kinderrechte umfassend darlegt.
Wir haben darauf hingewiesen, dass Kinder seit mehr als zwei Jahrzehnten als frühe Nutzende digitaler Technologien bekannt sind und dass Kinder bereits begonnen haben, virtuelle Welten und das Web 4.0 zu erforschen und zu nutzen. Virtuelle Welten bieten ein enormes Potenzial und vielfältige Möglichkeiten für Kinder, zu lernen, zu wachsen und an der demokratischen Gesellschaft teilzuhaben. Gleichzeitig sind aber auch Risiken und Gefahren für ihr Wohlergehen nicht von der Hand zu weisen. Vor diesem Hintergrund müssen Anbieter von Diensten, Inhalten und Geräten für den Zugang zu virtuellen Welten das Wohl des Kindes als Leitprinzip berücksichtigen. Eine Kinderrechtsverträglichkeitsprüfung sollte daher verpflichtend sein, bevor Dienste und Anwendungen Marktreife erlangen und vermarktet werden.
Wir informierten auch über das Konzept der persönlichen Integrität, der mit der zweiten Novellierung in das Jugendschutzgesetz 2021 aufgenommen wurde. Der Begriff wurde über die Dimensionen der körperlichen und geistigen Unversehrtheit hinaus um den Schutz personenbezogener Daten erweitert. Personenbezogene Daten werden als Elemente verstanden, die eine Person im digitalen Raum repräsentieren und untrennbar mit dieser Person verbunden sind. Eine missbräuchliche Verwendung dieser Daten wäre daher als Verletzung der persönlichen Integrität zu werten. Die persönliche Integrität umfasst dabei den Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit sowie der persönlichen Daten. Bei Kindern ist die altersgemäße und zukunftsoffene Entwicklung sowie die informationelle und sexuelle Selbstbestimmung Minderjähriger zu gewährleisten. Der Missbrauch von Unerfahrenheit und Alter, die wirtschaftliche Ausbeutung und die kommerzielle oder anderweitig missbräuchliche Verarbeitung und Weitergabe von Nutzerdaten stehen dagegen im Widerspruch zum Schutz der persönlichen Integrität. In unserem Beitrag haben wir vorgeschlagen, dieses Konzept für alle menschlichen Nutzer in Politiken und Regulierungen des digitalen Umfelds aufzunehmen und umzusetzen.
Um Kinder und ihre persönliche Integrität in digitalen Umgebungen zu schützen, haben wir ein afrikanisches Sprichwort zitiert, das besagt, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Wir plädierten daher für die Schaffung eines solchen Dorfes in virtuellen Welten, in dem mehrere Akteure Verantwortung für das sichere Aufwachsen von Kindern im Zeitalter des Web 4.0 übernehmen. So wie das Internet in seinen Anfängen für militärische und akademische Zwecke und nicht für Kinder entwickelt wurde, wird das Metaversum heute mit Blick auf sein wirtschaftliches Potenzial entwickelt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir wieder die gleichen Lektionen lernen müssen, nämlich dass die Marktkräfte allein das entstehende Feld nicht in einer Weise regulieren wird, die den Interessen aller dient. Eine solide Multi-Stakeholder-Governance, wie sie im Internet Governance Forum erfolgreich praktiziert wird, ist daher der einzige Weg, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, die auch jene Anbieter unterstützen, die sich besonders um den Schutz und die Bedürfnisse aller Nutzer, insbesondere gefährdeter Gruppen, bemühen, und um ein unkontrolliertes Wachstum zu verhindern.
Die Konferenz endete mit einem starken Bekenntnis zum Multi-Stakeholder-Ansatz und einem Plädoyer für eine Strategie zur Vermeidung der Fragmentierung des Internets und zur Umsetzung einer zukunftsorientierten Standardisierung. Es sollte weltweit EIN Internet geben, das das Rückgrat für ein breites Spektrum von Anwendungen bildet.